Der Stamm Nigra
Der wohl bekannteste und älteste Zuchtstamm der Dunklen Biene, die "Nigra" - zu Deutsch die "Schwarze" - stammt aus der Schweiz. Urzüchter dieses Stammes war der Lehrer F. Kreyenbühl, der auf der Wanderversammlung in Luzern im Jahre 1931 über die Geschichte dieses Stammes berichtete. Hier auszugsweise einige Passagen aus seinem Beitrag:
Das Urvolk des Nigrastammes war mein Eigentum und seine Geschichte reicht zurück auf meine ersten Anfänge in der Bienenzucht. Ich kaufte dasselbe mit einem Schwestervolk im Frühling des Jahres 1888 aus einem alten Korbbienenstande, wo man an den Bienen nicht viel anderes machte, als Honigausschneiden, wenn es gab und Füttern, wenn im Herbste die Körbe zu leicht befunden wurden. - Damals wohnte ich in Egolzwil. Durch Reizfütterung hoffte ich, dieselben zum Schwärmen zu bringen. Sie traten aber auf meinen Wunsch nicht ein, füllten jedoch die erst spät gereichten Aufsatzkistchen mit Honig. Ich achtete diese zwei schwarzen Völker nicht viel und hatte sie nur gekauft, um anfangs etwas zu haben. Auf das Frühjahr 1889 bestellte ich zwei Krainer, die damals Trumpf waren und schwärmten, dass dem nach Vermehrung trachtenden Anfänger das Herz im Leibe lachte.
Die bestellten reinen Krainer, welche ca. Mitte Mai eintrafen in sog. Lagerkästen, vermehrten sich sogar auf zehn Völker. In wenigen Jahren war mein neuerbautes Bienenhaus angefüllt und ich wusste nicht mehr wohin mit den Schwärmen. Da verleideten mir die Krainer auch und ich wünschte mir wieder schwarze Bienen. Ich fing an die ärgsten Schwärmer zu entweiseln, riss nachher die angesetzten Weiselzellen ab und gab offene Brut von dem schwarzen Volke ein.
Dies alles fiel in die Zeit, als von Kramer die Rassezucht den Schweizer Imkern propagiert wurde. Er schlug Kreyenbühl vor, aus seinem Volk Nr. 12 einen neuen "Luzerner Rassestamm" zu züchten.
Dieses Volk war ein ausgesprochenes Hünglervolk mit schwarzer Königin und schwarzen Bienen. Es war ein Volk mit mäßigem Bruttrieb, mit schöner Umrahmung des angemessen großen Brutkörpers und seinem haushälterischem Sinn, als Spätbrüten besonders geeignet für späte und mittelfrühe Lagen.
Auch die aus diesem Zuchtstoff geschlüpften Königinnen waren alle schwarz. Ein Unterschied in der Farbe war höchstens daran zu beobachten, dass zwei oder drei davon am schwarzen Hinderleib noch schwärzere Ringe hatten. Fortan wurde dieser Zuchtstamm "Nigra“, d.h. die Schwarze genannt.
Die Königinnen wurden nicht am Stande zur Paarung aufgestellt, sondern etwa zweieinhalb km weiter im sog. Dubenmoos, wo ein Korbvolk, ebenfalls mit sehr dunklen Bienen stand. Später wurde dieser Platz weiter als Belegstelle für die Nigra benutzt, das Korbvolk wurde gegen eines des Stammes "Nigra" ausgetauscht. Noch im selben Jahr, 1899 stellte Kreyenbühl auf Verlangen des Zentralpräsidenten Kramer Völker auf der landwirtschaftlichen Ausstellung in Luzern aus. Er erhielt dafür ein Diplom 1. Klasse und wurde gleichzeitig verpflichtet, im kommenden Jahr Zuchtstoff in Form von Eistücken aus dem Muttervolk abzugeben.
Im ersten Jahr wurden 60 Eistücke in die ganze Schweiz verteilt. Bei 43 Imkern glückte die Nachzucht, insgesamt wurden 154 Königinnen erstellt.
Der Stamm Nigra hat also im Jahre 1900 einen Zuwachs von 154 Familien erhalten. Im folgenden Jahre ließ ich mich nicht mehr "offiziell als Eierhändler" in der Blauen ausschreiben. Ich belieferte nur mehr gute Freunde und Bekannte, musste aber gleichwohl so viele Eiersendungen machen, dass ich bald kein rechtes Nigravolk mehr gehabt hätte. Ich zog mich deshalb in den folgenden Jahren als Zuchtstoff und Königinnenlieferant so viel als möglich zurück und suchte mit meinen Nigra - Zuchtprodukten meinen Stand zu heben, was mir bis zu meinem Wegzuge nach Ettiswil so ziemlich gelang. Es traten für mich andere Züchter in die Lücke, welche von meinem Stammvolke Stoff bezogen hatten und nun Zuchtstoff und Königinnen verkauften, so nebst anderen auch H. Koch in Mauensee, der schon im Jahre 1903 46 Königinnen verkaufte und nachher alle Jahre mehr.
Es kam die kant. Landw. Ausstellung in Luzern vom Jahre 1909, an der ich nicht ausstellen wollte. Das Nigrastammvolk lebte immer noch. Auf speziellen Wunsch von Herrn Dr. Kramer war an demselben bez. Königinwechsel nichts gemacht worden. Bauerneuerung, Schleudern und Füttern im Herbst waren die Arbeiten, die ich damit hatte. Da Herr Kramer auf die Wanderversammlung von 1909, die auch in Luzern stattfand, eine Enquete bez. der Leistungen der damals bestehenden Zuchtstämme gemacht hatte, wünschte er das Stammvolk Nigra mit Abkömmlingen wieder auf den Platz. Ich erhielt dafür wieder ein Diplom I. Klasse und der Stamm schwang oben aus. Das Stammvolk hat noch existiert bis zum Kriegsjahr 1914.
Seit dem Jahre 1921 oder 22 ist dieser Stamm auch in Deutschland bekannt und wird speziell vom Bienenwirtschaftlichen Institut in Erlangen sehr viel gezüchtet und es finden dort die Nigraköniginnen zu dankbaren Preisen guten Absatz. - In der Schweiz sind gegenwärtig zirka ein Dutzend Handelszüchter, welche den Zuchtstoff vom Nigrastamme nehmen und ihre Zuchtprodukte zum Kaufe anbieten. Es ist fast unglaublich, wie viel im Königinnenhandel gemacht wird. Herr Koch in Mauensee, der allerdings einer der ältesten Nigraköniginnenzüchter ist, hat mir einen Auszug aus seinen Büchern zukommen lassen, wonach er seit dem Jahre 1903 bis heute (also 1931) 7778 Königinnen im Inland und 211 ins Ausland, zusammen also 7989 Königinnen verkauft hat.
Durch die Reichsfachgruppe Imker - insbesondere durch die Bayerische Landesanstalt für Bienenzucht unter dem seinerzeitigen Leiter Prof. Dr. E. Zander - wurde die Zucht der Nigra erheblich gefördert. Überall in Deutschland entstanden für diesen Zuchtstamm Belegstellen. Bekannt sind vor allem die Belegstellen "Ohrwaschl" der Bayerischen Landesanstalt und die Inselbelegstelle Wangerooge, auf der noch bis 1953 dieser Stamm vertreten war. Das Hauptauslesekriterium für die Nigra war stets die Farbe. Kramer hatte den Satz geprägt:
„Wenn wir auch keine Farbenzucht treiben, so ist halt doch die Farbe das untrüglichste Merkmal der Rasse und ohne Rasse keine Konstanz in der Vererbung.“
Die Auslese auf das Merkmal "schwarz" führte sogar soweit, dass wir bei vielen Völkern des Zuchtstammes weit mehr als 50% Drohnen mit schwarzer Haarfarbe finden, obwohl für die Dunkle Biene eher ein braun rassetypisch ist. Dies bestätigen auch noch heute etliche Merkmalsproben aus der Schweiz.
Trotz allem konnte sich die „Nigra" auf Dauer nicht halten. Wie Kreyenbühl selbst schreibt, hielt er am eigenen Stand auch Carnica Völker. In die Schweiz waren zum damaligen Zeitpunkt nach Angaben von Dreher bereits 150.000 Völker der Carnicarasse aus Slowenien importiert worden. So ist davon auszugehen, dass die "Nigra" keine reine Mellifera darstellte und es in den Folgegenerationen immer wieder zu Aufspaltungen kam. Das seinerzeit von Zander nach Deutschland eingeführte Material war bereits erheblich verkreuzt. Die damals Verwendung findenden unsicheren Belegstellen trugen ein übriges zur Verschlechterung des Stammes bei. Das Material war unausgeglichen, nervös, teilweise sogar aggressiv. Auch das Brutverhalten entsprach nicht mehr den sich zur Frühtracht hin verschiebenden Trachtverhältnissen und dem nach dem Krieg einsetzenden Trend zu größeren Beuten. Aber besonders die zunehmende dichtere Besiedelung verlangte eine ausgesprochen friedfertige Biene, so dass mehr und mehr Imker von dieser Biene Abstand nahmen. So fanden sich nach dem 2. Weltkrieg kaum noch Züchter, die bereit waren, sich mit der „Nigra" zu beschäftigen. Ende der 60er Jahre war in Deutschland kein anerkannter „Nigrazüchter" mehr registriert.
Heute erfährt die Zucht der "Nigra" in der Schweiz eine gewisse Renaissance. Mit den Mitteln einer exakten Merkmalskontrolle, mit sicheren Landbelegstellen und der instrumentellen Besamung versucht man, eine Nigra auf der Basis der Mellifera herauszuzüchten, ohne das es in den Folgegenerationen zu Aufspaltungen kommt. Hier ist besonders der Züchter Koch in Mauensee - ein Enkel des bereits von Kreyenbühl erwähnten Züchters Koch - zu nennen. In wie weit dieser Zuchtstamm jedoch Bestand haben und sich in einigen Gebieten der Schweiz durchsetzen wird, ist nicht abzusehen.